Hass und Gewalt gegen Homosexuelle

LSBTI in Russland

von Alexander Vogt

Das Thema “Corona” beherrscht – aus gutem Grund – zur Zeit alle Medien und Foren. Umso wichtiger ist es, die Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die trotz ihrer Dringlichkeit in der allgemeinen Berichterstattung derzeit zu kurz kommen. Dazu zählt ohne Zweifel die schwierige, diskriminierende und oft gefahrvolle Situation von LSBTI (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*- und Interpersonen) in Russland.

Gab es seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erste Liberalisierungstendenzen durch die Entkriminalisierung und Entpathologisierung von Homosexualität, erfolgten zu Beginn des 21. Jahrhunderts immense Rückschritte. Diese gipfelten im Jahr 2013 mit der Einführung des Gesetzes gegen die “Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen”, das  dem Zweck dienen sollte, Minderjährige vor beschönigender Darstellung von Homosexualität zu bewahren. In der Praxis bedeutete dies jedoch, dass jedes öffentliche Bekenntnis zu Homosexualität, jede positive Berichterstattung zu Geld- und Haftstrafen führen kann. Aufklärung, Unterstützung für Minderjährige, die aufgrund von Problemen mit oder Fragen zu ihrer sexuellen Orientierung oder Identität Beratung und ggf. ärztliche Hilfe dringend benötigen, sind kaum noch möglich. Logische Konsequenz mangelnder Aufklärung und auch zunehmender Kriminalisierung von LSBTI dürten zwangsläufig höhere Selbstmordraten und auch steigende HIV-Ansteckungsraten sein.

Die oben erwähnte Bezeichnung “nicht-traditionell” fußt auf dem wohl bewusst nicht genau definierten Konzept der “Traditionellen Werte”, mit dem die russische Regierung gemeinsam mit den Religionsgemeinschaften, allen voran der Russisch-Orthodoxen Kirche, die Einzigartigkeit und Überlegenheit der durch Traditionalismus und Moralität geprägten russischen Kultur gegenüber dem Westen manifestieren will. Westliche Einflüsse – hervorgerufen durch Liberalismus und Individualisierung gelten hierbei als moralisch und sittlich schädlich. LSBTI werden von Vertretern dieses Konzepts klar als Auswüchse dieses westlichen Systems gesehen, dass es abzuwehren gilt.

Durch die Annahme des o.g. Gesetzes, dem viele ähnliche Gesetze in einzelnen Regionen der Russischen Föderation vorausgingen, sicherte sich Präsident Putin die Unterstützung der Kirche, die er für seinen Machterhalt unbedingt benötigt.

Die homophobe Stimmung in der russischen Gesellschaft bekam durch das Gesetz großen Auftrieb. Immer wieder und immer häufiger wurde und wird Homosexualität seitdem wieder in Zusammenhang mit Pädophilie gebracht, was diese negative Haltung gegenüber LSBTI begünstigt und verstärkt. Bereits 2012 bildeten sich erste paramilitärische Gruppen, die Jagd auf Homosexuelle machten, diese misshandelten und demütigten. Strafverfolgung durch russische Behörden gab und gibt es wenige. Erschwerend kommt hinzu, dass Opfer sich zu selten an die Polizei wenden, die selbst in großen Teilen als stark homophob gilt.

Proteste am Internationalen Tag gegen Homophobie, 17. Mai 2013 in St. Petersburg, Russland, Keete 37, CC BY 3.0, wikimedia.org

Gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern (eigenen wie adoptierten) müssen Repressalien oder gar den Entzug des Sorgerechts fürchten. Die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare ist seit 2013 in Russland nicht mehr möglich. Bekannt wurde international v.a. der Fall von Andrej Waganow und Jewgenij Jerofejew, die mit ihren beiden adoptierten Söhnen im Sommer 2019 aus Russland fliehen mussten.

Ebenfalls im Sommer 2019 wurde die LSBTI-Aktivistin Jelena Grigorjewa in Sankt Petersburg mit mehreren Messerstichen unweit ihres Hauses ermordet aufgefunden. Girgorjewa, die auch eine vehemente Kritikerin der Innen- wie Außenpolitik der Regierung Putin war, hatte nach Angaben aus ihrem Umfeld zuvor schon mehrere Morddrohungen im Internet erhalten. Das homophobe Internetprojekt “Pila” veröffentlicht Informationen über geplante Morde an LSBTI-Aktivisten und -Aktivistinnen. Auch Grigorjewa wurde dabei genannt. Als vermeintlichen Mörder präsentierte die russische Polizei einen tatverdächtigen Kirgisen, nicht ohne zu betonen, dass Grigorjewa „ein asoziales Leben“ geführt und „oft Alkohol getrunken“ habe, u.a. mit ihrem mutmaßlichen Mörder. Beweise für den von den Ermittlern ebenfalls erwähnten „persönlichen Konflikt“ Grigorjewas mit dem, mutmaßlichen Täter blieben die Ermittler trotz Aufforderung durch die St. Petersburger LSBTI-Organisation Wichod schuldig, berichtete u.a. die Deutsche Welle.

Hochaktuell und im Zuge der Corona-Krise zu wenig beachtet auch das Folgende: Im Vorfeld der jüngst erfolgten Abstimmung über die russische Verfassungsreform, die laut offiziellem Ergebnis mit 77,9% angenommen wurde und die Putin einen Verbleib im Präsidentenamt auch nach Ablauf der zweiten Legislaturperiode nach 2024 ermöglicht, wurde stark homophobe Propaganda betrieben. So wurde in einem Wahlwerbefilm ein Waisenjunge von einer stark geschminkten Trans*person vom Kinderheim abgeholt. Suggestiv wurde dann gefragt: ”Wirst du dich für ein solches Russland entscheiden?” Mit übelsten Methoden wurde Populismus reinster Machart geboten. Von lupenreiner Demokratie keine Spur.

Im Zuge der Reform wird nun leider auch die Ehe von Mann und Frau als die allein mögliche Form festgeschrieben.

In diesen gesamten Kontext passt es daher und ist nicht verwunderlich, dass Russland sich seit 2015 aufgrund einer Entscheidung des eigenen Verfassungsgerichtes an Beschlüsse des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur noch gebunden fühlt, wenn dessen Urteile nicht gegen die russische Verfassung verstoßen.

Dass LSBTI für die Regierung unter Putin lediglich ein Spielball zum 

Machterhalt sind, zeigt sich auch deutlich in seiner sehr verhaltenen Reaktion zu den menschenverachtenden und schrecklichen Vorkommnissen in der autonomen Republik Tschetschenien. Im April 2017 wurde bekannt, dass der dortige Machthaber und faktische Diktator, Ramsan Kadyrow, Homosexuelle systematisch verfolgen, foltern und umbringen lässt. Viele flüchten daher, oftmals mit Hilfe russischer LSBTI-Organisationen aus Tschetschenien, da sie nicht einmal in ihren eigenen Familien sicher sein können. Homosexuelle gelten den Familien als Schande und werden nicht selten von ihren eigenen Verwandten ausgeliefert oder gar getötet. Präsident Putin riskierte keinen Konflikt mit Kadyrow und nahm außer mit ein paar warmen Worten nicht weiter Stellung zu diesen unfassbaren Menschenrechtsverletzungen.

Leider finden wir ähnliche Einstellungen zu Homosexualität wie in Russland in wieder stärkerem Maße auch in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks, selbst innerhalb der Europäischen Union. Zu nennen sind hier v.a. Polen, wo sich zahlreiche Gemeinden und Provinzen zu sogenannten LSBT-freien Zonen erklärt haben oder Ungarn, dass jüngst ein Gesetz erließ, dass es Trans*personen unmöglich macht, ihren Geschlechtseintrag in den Ausweispapieren ändern zu lassen. Auch in Litauen haben LSBTI mit großer Ablehnung zu kämpfen. Der Fall eines jungen homosexuellen Paares wurde 2015 bekannt, das ein Kussfoto auf Facebook veröffentlichte und dafür online erhebliche homophobe Hetze inkl. Mordaufrufen erhielt. Die litauischen Behörden weigerten sich zu ermitteln. Der Fall landete schließlich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Diese zunehmend homophobe Stimmung, die auch hierzulande sicher nicht von allen, aber doch von nicht wenigen eingewanderten Russlanddeutschen, von Vertretern der sogenannten “Demo für alle” oder auch von der AfD kultiviert und gefördert wird, müssen wir mit großer Aufmerksamkeit und Sorge betrachten. Gerade die LSBTI-Organisationen in Russland bedürfen mehr denn je unserer Unterstützung – materiell wie ideell. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Organisationen und viele Anlaufstellen in Russland auch durch Corona unter zunehmend erschwerten Bedingungen ihre Arbeit leisten müssen. Ausgehverbote und Isolation dürften dort wie hier zu mehr häuslicher Gewalt führen.

Wichtig ist es besonders jetzt, den Gesprächsfaden auf kommunaler oder staatlicher Ebene nicht abreißen zu lassen, Missstände öffentlich zu kritisieren und anzuprangern und immer wieder auch über Sanktionen gegen Einzelpersonen nachzudenken, die sich in besonderer Weise durch Hetze, Hass und sonstiges homophobes Verhalten hervorgetan haben.


Unser Autor Alexander Vogt (51)

Banker, röm.-kath.,Frankfurt
1969 in Dülmen/Westf. geboren trat der bekennende Katholik mit 30 Jahren in die CDU ein. 2000 lernte er die LSU kennen, deren Bundesvorsitzender er seit 10 Jahren ist. Vogt ist Mitbegründer der European Centre-Right LGBT+ Alliance („Alliance“), eines Netzwerkes von LSBTI-Organisationen auf Ebene der Europäischen Volkspartei. Von 2013 bis 2018 war Vogt auch erster Präsident der Alliance.

Quelle Bild: „M. Block-Löwer“

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