Die aktuelle Verfolgungslage der Bahá’í in Iran und Jemen
Während der rapiden Ausbreitung des Coronavirus im Iran und Jemen, sind die Bahá’í zunehmender und zum Teil lebensbedrohlicher Verfolgung durch die Iranische Regierung und die Huthi-Rebellen ausgesetzt. Iranische Behörden haben in den letzten Wochen mindestens 77 Personen im ganzen Land ins Visier genommen. Berichte über die jüngste Androhung einer „Entwurzelung“ der Gemeinde in Schiras, ergänzt durch eine beispiellose Anzahl neuer Gefängnisstrafen, erneuter Inhaftierungen und einer medialen Hasskampagne, geben der seit Langem verfolgten religiösen Minderheit im Land Anlass zur Sorge.
Das Berufungsgericht in Schiras verurteilte im Juli zwölf Bahá’í rechtskräftig zu Gefängnisstrafen von insgesamt 33 Jahren und sechs Monaten. In den letzten Wochen wurden 40 Bahá’í in Schiras, deren Fälle seit Monaten anhängig waren, vor Gericht geladen, was eine in den letzten Jahren beispiellose Anzahl von Gerichtsvorladungen gegen Bahá’í in einer einzigen Stadt darstellt. In einem erstinstanzlichen Strafverfahren gegen eine Gruppe von Bahá’í, drohte ein Justizbeamter damit, die Bahá’í in Schiras zu „entwurzeln“.
„Eine derart entsetzliche Erklärung des Beamten ist eine offenkundige Demonstration des religiösen Fanatismus und der Vorurteile, mit denen die Bahá’í in Iran konfrontiert sind. Sie ist auch ein klarer Beweis für die justizielle Ungerechtigkeit gegen die Bahá’í und die wahre Motivation der Behörden“, sagt Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland. „Dies zeigt nicht nur das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit und die schwere Diskriminierung, mit der die Bahá’í im iranischen Justizsystem behandelt werden, sondern soll die Bahá’í auch einschüchtern, indem erheblicher psychologischer Druck auf die direkt Betroffenen sowie auf ihre Familien und alle Bahá’í im Iran ausgeübt wird.“
Außer in Schiras sind die Bahá’í in Birjand, Qaem-Shahr, Isfahan, Karaj, Kermanshah und Yazd in den letzten Wochen allein wegen ihres Glaubens verhaftet, vor Gericht geladen, angeklagt, zu Gefängnisstrafen verurteilt oder inhaftiert worden. Die Gesamtzahl beläuft sich auf mindestens 77 betroffene Bahá’í. Unter den in Birjand verhafteten Bahá‘í befindet sich ein älterer Mann, dessen Gesundheit im Falle einer Inhaftierung altersbedingt stark gefährdet ist. Ein Ehepaar, das zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, hat eine an Krebs erkrankte Tochter, was im Falle einer Inhaftierung zu tiefer Besorgnis um ihre Pflege führt.
„Die jüngsten Vorfälle haben Hunderte von Familien unter großen Druck gesetzt“, so Noltenius. „Sie während einer Gesundheitskrise mit einer alarmierenden Eskalationsrate der ständigen Bedrohung einer Inhaftierung und den damit verbundenen emotionalen Ängsten auszusetzen, ist ein weiterer Versuch, die Gemeinde noch stärker zu belasten.“
Der jüngste Druck wird dadurch verstärkt, dass die staatsnahen Medien des Iran die Bahá’í durch eine zunehmend koordinierte Verbreitung von Desinformationen öffentlich diffarmieren. Fernsehkanäle, Zeitungen, Radiosender und soziale Medien streuen Artikel und Videos, die den Bahá’í-Glauben verunglimpfen, während den Bahá’í das Recht auf Gegendarstellung verweigert wird. Die Bahá’í International Communityhat alleine im Zeitraum Januar bis April 2020 mehr als 3.000 Artikel mit Anti-Baha’i-Propaganda aufgezeichnet, wobei sich die monatliche Anzahl verdoppelte.
„Die Drohung, ‚eine Gemeinschaft zu entwurzeln‘, die massenhafte Anklage ihrer Mitglieder, die Wiederaufnahme ihrer Haft während einer Pandemie sowie die Verbreitung hasserfüllter Propaganda, ist eine schockierende und zutiefst beunruhigende Entwicklung“, so Herr Noltenius. „Wie kann die iranische Regierung ihrer heiligen Pflicht gegenüber dem Wohlergehen ihrer Bevölkerung nachkommen, während sie die Entwurzelung einer Gemeinde gesetzestreuer Bürger vorantreibt? Alle Bahá’í, die in Iran Diskriminierungen ausgesetzt sind, sind unschuldig und die gegen sie betriebene religiöse Verfolgung muss aufhören.“
Die Freilassung der inhaftierten Bahá’í sowie die Einstellung der willkürlichen Strafverfahren gegen Anhänger dieser größten religiösen Minderheit des Landes forderten kürzlich die IGFM und die GfbV gemeinsam mit 30 deutschen Parlamentariern, Menschenrechtlern sowie Gesundheitsexperten in einem Appell an die iranische Regierung.
Entsprechend eines von den Vereinten Nationen veröffentlichten Regierungsmemorandums, bemüht sich das Iranische Regime auch, die kulturellen Wurzeln der Bahá’í im Ausland zu zerstören – aktuell über die Einflussnahme auf die Huthi-Rebellen im Jemen. Die Huthi-Behörden gefährdeten bis vor wenigen Tagen das Leben von sechs unschuldigen Bahá’í-Gewissensgefangenen, obwohl es schon früh Anzeichen dafür gab, dass sich das Corona-Virus auf die Gefängnisse in der von ihnen kontrollierten Hauptstadt Sanaa ausgebreitet hat, und die Vereinten Nationen Warnungen hinsichtlich einer „schnellen Vervielfachung“ im Jemen aussprachen.
Mehr als vier Monate sind zwischen der Freilassungsankündigung des Präsidenten des Obersten Politischen Rates der Huthis in Sanaa bzgl. der sechs langjährig-inhaftierten Bahá’í und der tatsächlichen Umsetzung vergangen. Erst am 30. Juli 2020 konnte der aufgrund seines Glaubens zum Tode verurteilte Hamed bin Haydara sowie die fünf weiteren willkürlich-inhaftierten jemenitischen Bahá’í das Gefängnis verlassen. Jeder von ihnen wurde zu Unrecht verhaftet, verhört und in einigen Fällen körperlich gefoltert, bevor er wegen angeblicher Verbrechen angeklagt und ohne Zugang zu Anwälten vor Gericht gestellt wurde. Der schlechte Gesundheitszustand der Gefangenen bedeutete eine besonders hohe Gefahr einer tödlichen Infektion, da in den Gefängnissen nur eine sehr mangelhafte medizinische Versorgungslage besteht. Bis zu der Freilassung ignorierten die Huthi-Behörden, dass bei mehreren Gefangenen im Zentralgefängnis das Coronavirus diagnostiziert wurde.
Das Büro des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte hatte bereits Anfang April zur Freilassung von Gewissensgefangenen weltweit aufgerufen, um diese vor dem Risiko einer Ansteckung in den Gefängnissen zu schützen. In einem Namensbeitrag für die Financial Times, der am 1. Juli auf der Website des Auswärtigen Amtes veröffentlicht wurde, verkündete der Bundesaußenminister Heiko Maas gemeinsam mit seiner schwedischen und seinem britischen Amtskollegen: „Wir appellieren an die Huthi-Rebellen, ihre Ankündigung, Anhänger des Bahai-Glaubens freizulassen, umzusetzen.“
Offenbar sind die Freilassungen nur durch den anhaltenden internationalen Druck durch Menschenrechtsorganisationen, Regierungen und Parlamentarier sowie Organe der Vereinten Nationen auf die Huthi-Behörden möglich geworden. Dies betont auch die Noltenius:
„Die Bahá’í-Gemeinde in Deutschland dankt dem UN-Sondergesandten für den Jemen sowie dem Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. Wir danken auch den Regierungen und Nichtregierungsorganisationen, die diesen Prozess während des gesamten Prozesses unterstützt haben.”
Nach diesen Freilassungen fordert die deutsche Bahá’í-Gemeinde die Einstellung aller Strafverfahren gegen diese sechs Personen und die weiteren angeklagten Bahá’í, die Rückgabe ihres Vermögens sowie ihrer Besitztümer und dass alle Bahá’í im Jemen künftig von ihrem Recht Gebrauch machen können, ohne Verfolgungsgefahr nach ihren religiösen Überzeugungen zu leben.
„Wir begrüßen die heutigen Freilassungen, sind aber nach wie vor ernsthaft besorgt“, sagt Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland. „Da Jemens Suche nach dauerhaftem, gesellschaftlichem Frieden weitergeht, muss den Bahá’í- wie allen Jemeniten – ermöglicht werden, ihren Glauben frei und in Sicherheit auszuüben, in Übereinstimmung mit den universellen Prinzipien der Religions- und Glaubensfreiheit. Dies ist unmöglich, bis die Strafverfahren eingestellt werden.“
Weitere Informationen finden Sie unter: https://iran.bahai.de
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