Russland und Cuba: Toxische Importe

Von Jorge Ángel Pérez *

Masse statt Klasse war schon immer Devise der kubanischen Kommunisten. Ich erinnere mich, dass in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, jemand, ich denke es war Fidel Castro, die Idee hatte, den Unterricht der russischen Sprache für die Masse zu gestalten. Man wollte sich wohl beim Chef in Moskau einschmeicheln. Russisch sollte über das Radio gelehrt werden. Man druckte sogar in großer Eile Hefte für Radio-Kurse, die die eingeschriebenen Studenten auch postwendend erhielten. Ich kenne kein anderes Land das jemals versucht hat, eine Fremdsprache über Radio zu unterrichten.

Das naive Kind, das ich war, glaubte, dass es fließend Russisch sprechen könnte, so dass es ihm später leicht fallen würde, sich mit irgendeinem Jungen zu verständigen, dessen Name Sergej, Alioscha, Wladimir oder Nikita war. Oder mit einem Mädchen, welches den Kopf drehen würde, wenn ich Olenka rufen würde, oder Katiusha oder Mascha, Jekaterina, Polina oder Paschenka. Das Kind aber, das ich war, langweilte sich im Laufe der Monate und  vernachlässigte das Erlernen der russischen Sprache für immer. Aber ich erinnere mich noch an den Satz: „Ya izuchayu russkiy yazyk po radio“.  Da meine Tastatur nur das lateinische Alphabet hat, kann ich diesen Satz, der darauf hinweist dass ich mal Russisch übers Radio gelernt habe, nicht auf kyrillisch schreiben.

Nicht gerade wenige kubanische Kinder wurden in Russisch unterrichtet.  Nicht nur im Radio, sondern auch in einem Klassenzimmer.  Man versuchte, diese Sprache mit dem Englischen in den Sekundarschulen konkurrieren zu lassen und ließ die Kinder mit diesem seltsamen Alphabet kämpfen. Wohl wissend, dass wir mit einem so trockenen und langweiligen Unterricht, wie er damals üblich war, niemals Gogol oder Dostojewski in ihren Originalsprachen lesen könnten. Es besteht also kein Zweifel, dass die Einführung der russischen Sprache und des Kommunismus, welcher hauptsächlich in dieser Sprache propagiert wurde, einer der ersten russischen Importe auf Kuba waren.

Außer der Sprache erhielten wir auch andere wertvolle Importe, die der Kreml uns großzügigerweise überlies.  Zum Beispiel jene riesigen, gefährlichen, selbstfliegenden Geschosse, die auf das nordamerikanische Territorium gerichtet waren und die eine Krise provozierten, die den Namen unseres kleinen Landes erhielt. Die Kubakrise lässt uns immer noch die Haare zu Berge stehen, denn sie brachte die Welt an den Rand des nuklearen Holocaust. Aus Russland haben wir also eine Sprache importiert, die unsere Zweitsprache hätte werden können, aber auch Raketen und Schreibmaschinen, bei denen jede Taste ein „kyrillisches Zeichen“ hatte.

So bekamen wir aus der Ferne jene Sprache, von der Fidel Castro annahm, sie würde die Sprache der Zukunft sein. Diese Sprache kam nicht etwa zu uns, weil es die Sprache von Tolstoi und Gogol war, oder wegen Tschechow oder Puschkin. Nein Russisch kam zu uns, weil es die Sprache des Sozialismus auf dem Höhepunkt seiner Macht war.  In jenen Tagen waren die kubanischen Buchläden voll mit Scholochow, Lenin, Tichonow und Gorki, andere Autoren waren nicht mehr erwünscht.  Das ist das Erbe welches wir von den Sowjets erhielten.  Von dort importierten wir den sozialistischen Realismus und die Zensur. Von dort kommen auch die Verbote.

Hier auf Kuba hatten wir auch ein bisschen vom „Archipel Gulag“, ein bisschen Solschenizyn, ein bisschen Babel und Maldelstam. Weil wir begeistert Schrecken aus Russland importierten, hatten wir unseren Pasternak, unsere Achmatowa und Zwetajewa. Wir haben das sowjetische Grauen importiert und geerbt, und mit ihm kam die Verfolgung dieser Schriftsteller und Künstler.  Von dort haben wir das russische Fleisch in Dosen bekommen, aber auch die Beschränkungen der Freiheit, die Arbeitslager, die Repressionen, die Verhaftungen, die Hinrichtungen und den Tod. Die Sowjets lehrten uns das Verfolgen und das Töten. Leider importierten wir aus Russland den leckeren Kaviar nur in geringen Mengen für einige Wenige, dafür importierten wir aber das Leid im Überfluss.

Aus Russland importieren  wir in den Koffern kubanischer Reisender, die die Visafreiheit ausnutzen, Ersatzteile für Ladas, für Moskvitchs und vielleicht sogar für jene Volgas, die einst das Transportmittel der Parteibonzen waren. Aus Russland kamen viele hässliche Dinge zu uns, unter anderem der Kommunismus. Aber auch jene schweren Wälzer mit ihren rauen blauen Einbänden, die die menschliche Anatomie erklären und die Medizinstudenten und ihre Lehrer „Prives“ nennen. Aus Russland bekamen wir auch das Vef-Radio, die Aurika-Waschmaschine, die Plastikventilatoren und die Poljot-Uhr, die Namen Sergei und Ludmila und viele andere Dinge, die fast alle schlecht sind. Die, die nicht schlecht sind,  sind noch schlechter.

Aufgrund unserer Fixierung mit Russland kamen wir sogar zu einem religiösen Tempel, der der Kasanskaja geweiht ist: Eine orthodoxe und russische Kirche. „Unsere Liebe Frau von Kasan“ mit sechs Kuppeln, eine der wenigen, die nach dem verhängnisvollem Datum von 1959 errichtet wurden.  Ein Anbiederung an Patriarch Kyrill und die russischen Macht.

Alles das haben wir aus Russland importiert. Hinzu kamen in den letzten Jahren noch einige andere Kleinigkeiten, die von jenen Kubanern mitgebracht wurden, die die 9550 Kilometer lange Reise auf sich genommen haben, um irgendwelchen Ramsch mitzubringen, den sie irgendwo auf der Insel weiterverkaufen. Aber ohne Zweifel das Wichtigste, was wir jetzt importieren sind leider die vielen Reisenden, die mit COVID 19 infiziert sind.  Genau das verkündet  der nationale Epidemiologe jeden Morgen im Fernsehen.  Es sagt uns, dass das Land, aus dem wir die meisten Covid 19 Fälle importieren Russland ist. Das selbe Land aus dem wir den Kommunismus importiert haben.

So erfahren wir jeden Morgen wie viele importierte Fälle von Covid am Vortag gemeldet wurden. Einige aus Spanien, andere aus Italien, aus Indien, aus den Vereinigten Staaten oder der Dominikanischen Republik. Dann werden sie zu den lokalen Infektionen,  denen aus „nationaler Produktion“ hinzugezählt.  Der größte Import von Fällen ist jedoch aus Russland. Aus Russland erhalten wir die größte Anzahl von Reisenden, die mit Covid 19 infiziert sind.  Von jenem Russland, das uns in jenem Oktober an den Rand des Todes gebracht hat, erhalten wir nun den Großteil der importierten Infektionen. Das sind Kubaner die dort hingereist sind, um Waren zu kaufen die sie hier auf der Insel zu Wucherpreisen weiterverkaufen. Neben den Waren bringen sie auch den Virus mit.  Ohne Zweifel haben wir viele Dinge aus Russland importiert und die meisten davon sind schlecht. Aus Russland kam die Seuche des Kommunismus und jetzt auch noch die Corona-Seuche. Aus Russland importieren wir immer das Schlechteste.

*Unser Autor Jorge Ángel Pérez ist kubanischer Schriftsteller. Nach einer Zeit offizieller Anerkennung als Schriftsteller mit zahlreichen Veröffentlichungen bei staatlichen Verlagen und Medien fiel er wegen mangelnder Linientreue und Kritik an der KP in Ungnade und erhielt Veröffentlichungsverbot. Seine Bücher dürfen nicht auf Kuba mehr gedruckt, gehandelt und ausgeliehen werden.

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