Kuba kann nicht mehr und die Welt weiß das

Jorge Ángel Pérez

Alexander wird nicht mehr, wie er dachte, auf dem alten Berliner Platz spazieren gehen können, der denselben Namen wie er trägt. Er wird nicht mehr, wie geplant, die Weite des Alexanderplatzes bewundern können. Er wird dort keine Fotos schießen, die er bei seiner Rückkehr in sein kleines Dorf der Provinz Camagüey zeigen wollte. Alexander wird auch nicht in die Nähe der Überreste der Berliner Mauer kommen, von der noch ein kleiner Teil steht, die aber die Stadt nicht mehr in zwei Hälften teilt. Trotz seiner großen Begeisterung und seines Wunsches, die Reise anzutreten, wird er das berühmte Brandenburger Tor nicht durchqueren.

Der Mann aus der kubanischen Provinz wird weder mit der Berliner U-Bahn fahren können, noch wird er versuchen zu erraten, worüber die Fahrgäste der U-Bahn Babylons sich so unterhalten. Er wird dort keine Gespräche auf Deutsch, Französisch, Englisch, Chinesisch, Arabisch, Portugiesisch, Russisch, Italienisch oder Türkisch hören. Dieser junge Mann, Ehemann, Familienvater, Christ und sogar schon Großvater trotz seiner Jugend, wird in kein Flugzeug steigen, das ihn nach Berlin bringen wird. Er wird in der bäuerlichen Provinz Camagüey bleiben, obwohl er entschlossen ist, auf den alten Kontinent zu reisen.

Alexander wird nicht an der Gedenkfeier für seinen toten Onkel teilnehmen, der vor einigen Jahren in Deutschland von Ausländer Hassern aus dem Teil Deutschlands ermordet wurde, der sich demokratisch nannte, obwohl er es nicht war. Er wird es nicht schaffen, sich die Schule anzusehen, die der Bruder seiner Mutter besuchte, geschweige denn eine Rede an der Gedenkstätte zu halten, die eine Gruppe von Deutschen zur Erinnerung an das Verbrechen errichtet hat. Alexander wird diese Gedenkstätte nicht einweihen, wie es die Veranstalter beabsichtigt hatten. Er wird auch nicht, obwohl er es sicher gerne möchte, mit dem christlichen Protestantismus in dem Land in Kontakt kommen, in dem die evangelischen Kirchen, die den Ablasshandel ablehnen, entstanden sind. Wie so viele Deutsche glaubt er nicht an die Autorität des Papstes und ist der Heiligen der katholischen Kirche nicht zugetan. Alexander wird die Reise in das Land Luthers und der Reformation nicht antreten.

Er wird in in der kubanischen Provinz bleiben, trotz der Bemühungen der Veranstalter. Denn die deutsche Botschaft in Havanna hat seinen Visumsantrag abgelehnt. Als Grund wurde angegeben, dass er nicht glaubhaft darlegen könne, wieder nach Kuba zurückzukehren. Die deutschen Diplomaten in Havanna hielten in für einen potentiellen Auswanderer. Obwohl die Veranstalter ihnen in der „Verpflichtungserklärung“ den Zweck der Reise sehr deutlich mitgeteilt hatten. Sie hatten auch darauf hingewiesen, dass sie alle Kosten der Reise und auch die des Aufenthalts übernehmen würden und dass er dem deutschen Staat nicht zur Last fallen würde. Das alles war vergeblich. Trotz alledem würde Alexander nicht die Spuren Luthers und Calvins sehen können, obwohl er das sehr gerne würde.

Allerdings sind es gar nicht die deutschen Behörden, die daran schuld sind. Deren Misstrauen und Verdachte gegenüber Kubanern haben nämlich ihre Gründe. Es ist bekannt, dass es viele Kubaner gibt, die eine Reise ohne Wiederkehr an einen Ort machen wollen, der weit weg ist von dieser kleinen Insel mit ihrer teuflischen Regierung. Schuld ist die Regierung, die noch schlimmer ist als die der spartanischen Polis. Schuld ist die Unterdrückung und der Hunger. Schuld sind die von der Regierung beschlossenen Strafen. Schuld sind die alten Generäle die Kuba regieren.

Schuld daran ist die ungewisse Zukunft der Menschen auf der Insel. Schuld ist auch die Gewissheit der Regierungen der Welt, die davon ausgehen, dass die Kommunisten ihre Gegner, aber auch ihre Verbrecher, den ganzen kriminellen Pöbel loswerden wollen, den sie zuvor selbst produziert haben. Alexander nimmt nicht am Gedenken für seinen toten Onkel teil. Wenn das nicht die Schuld der Deutschen ist, wessen Schuld ist es dann?

Es ist die Schuld der Kommunisten, und es ist die Schuld von Fidel Castro und von seinem Bruder Raul. Der fürchterlichen Militärdiktatur und des Wissens der ausländischen Regierungen, dass die Diktatur sich vieler Dinge entledigt, die sie als störend empfindet. Das sind vor allem die Dissidenten, aber sie wird auch gerne Verbrecher und Mörder los um sie anderen aufzuhalsen. Kuba mit seiner ewigen Diktatur, entledigt sich aber auch den vielen guten Menschen, die sich der Diktatur nicht beugen wollen. Die Beweise liegen auf der Hand: Wie viele Kubaner haben in den letzten zwei Jahren das Land verlassen?

Wie viele von denen, die vor einem Jahr in den Straßen Kubas demonstriert haben, mussten nach dem 11. Juli Kuba verlassen? Wie viel Ruhe hat sich das Regime verschafft in dem es diese Unzufriedenen losgeworden ist? Viele von denen die nicht ins Exil gegangen sind, sitzen heute in den Gefängnissen. Diese Gefängnisse sind auch, zumindest für die Regierung, eine Art von Exil. Für die Gefangenen sind sie ein Exil welches noch trauriger, noch verheerender und vielleicht noch unwiderruflicher ist, als das der Auswanderung. Alexander, der Camagüeyaner, wird nicht nach Deutschland reisen, um seinem toten Onkel zu gedenken. Ich bestehe darauf, dass es die Schuld des Regimes ist, das seine Kinder vor die Wahl stellt, entweder eine lange Haftstrafe zu verbüßen oder ins Exil zu gehen.

In Zukunft wird es viele geben die kein Visum erhalten werden. Das Regime wird dagegen jede Ausreise beklatschen. Denn jeder Auswanderer ist ein Demonstrant weniger am 11 Juli, am 20. November am 3. Februar, am 23. Dezember, oder an jedem anderen beliebigen Tag des Jahres. Die Diktatur träumt von einen neuen Mariel. Damals, 1980, verließen Hunderttausende Unzufriedene in wenigen Tagen das Land. Das Regime nutzte die Gelegenheit, um seine Gefängnisse und die Psychiatrien zu leeren, um dem Erzfeind im Norden zu schaden. Die Regierung selbst könnte einen weiteren „Maleconazo“ und massive und gefährliche Grenzübertritte durch Mittelamerika provozieren.

Die massenhafte Auswanderung verringert den Druck im Kessel und bringt den Eigentümern der Insel auf lange Sicht harte Dollars ein. Denn die meisten Auslandskubaner schicken regelmäßig Geld aus dem „unmenschlichen Kapitalismus“, um die Daheimgebliebenen, die im „menschlichen Sozialismus“ kaum was zu Essen haben, zu ernähren. Dieses Geld, immer in harter Währung, landet auf Konten bei staatlichen Banken und wird in staatlichen Läden ausgegeben. Diese Läden und Banken gehören denselben Menschen, denen die Insel gehört. Jeder Auswanderer, egal ob aufmüpfiger Oppositioneller oder stiller Unpolitischer, kann für das Regime also sehr profitabel sein. Aus diesem Grund konnte Alexander nicht am Gedenken für seinen toten Onkel teilnehmen. Und dass obwohl die Herren der Insel es sehr begrüßt hätten, dass ein weiterer Mann gegangen wäre. Dazu noch ein wahrscheinlicher Gegner. Ein Mann weniger den sie ernähren und verfolgen müssen, der sich stattdessen in eine Devisenquelle verwandelt, an der sie sich bereichern können. Die Schuld daran liegt sicherlich nicht bei den Deutschen. Es ist das kubanische Regime, die Kinder Kubas schlecht behandelt und ihnen die Lebensgrundlage raubt.

Der kubanische Schriftsteller Jorge Angel Perez auf dem Dach seiner Wohnung in Havanna.

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