Schweigen ist für uns keine Option mehr
Die neue Kunstscene ist ein dynamischer Teil der Demokratiebewegung
Kubas Machthaber und die regimetreuen etablierten Künstler erleben eine neue Herausforderung durch Künstler, die es wagen an den Tabus der seit 1960 alleinherrschenden kubanischen Kommunisten zu rütteln. Die Künstler kritisieren Stagnation, Korruption und das Monopol der Kommunisten. Im Juli dieses Jahres beteiligen sie sich an den Protesten gegen die Diktatur. Im BfM-Interview erläutert die kubanische Kulturwissenschaftlerin Omara Ruiz Urciola, was die Künstler auf der Insel verändern wollen.
Frau Ruiz, Sie unterstützen die San Isidro-Bewegung regimekritischer kubanischer Künstler. Gibt es heute eine staatsunabhängige Kunstszene auf Kuba, die den Führungsanspruch der kommunistischen Partei infrage stellt?
Ja, es gibt eine neue Generation von Künstlern und Intellektuellen, die nicht mehr bereit ist den Einschränkungen und Regeln der staatlichen Kulturorganistionen zu folgen. Die Regeln und Grenzen, die diese staatlichen Stellen vorgeben, werden immer strenger und enger, für Meinungs- und Kunstfreiheit gibt es überhaupt keinen Platz. Künstler, die sich diesen Regeln unterwerfen produzieren keine Kunst, sondern Propaganda. Diese ist mal mehr oder wenig aufwendig, aber immer ziemlich kraftlos. Vor der San Isidro Bewegung (MSI) gab es schon andere Versuche eine freie Kunst zu schaffen, allerdings ist es damals nicht gelungen das Volk und die einfachen Leute zu bewegen und zu begeistern. Das MSI schafft dies jedoch. Diese soziale Dimension der Kunst des MSI ist etwas vollkommen Neues für Kuba. Sie fordert nicht nur das Regime heraus, sondern auch die etablierten Künstler und Intellektuellen.
Gibt es eine neue politische Opposition, die von Künstlern initiiert ist?
Die gibt es definitiv. Neben dem MSI gibt es noch die Bewegung des 27. Novembers die als Reaktion auf die Unterdrückung des MSI entstanden ist. Auch diese Bewegung wird überwiegend von Künstlern getragen. Dann gab es in letzter Zeit mehrere Protestsongs kubanischer Musiker, die gegen das Regime gerichtet sind. Der bekannteste von ihnen ist das Lied Patria y Vida. Es gibt einfach neue Formen, Unzufriedenheit auszudrücken und es geht darum, im Alltagsleben Zeichen gegen das Regime zu setzen. Wir geben unsere Identität nicht auf, aber wir nutzen unsere Ausbildung, um soziale Veränderungen zu erreichen.
Welche Ziele verfolgt die San Isidro-Bewegung? Ist San Isidro ein Teil der Demokratiebewegung auf Kuba?
Beim MSI geht es nicht nur darum ein Zeichen gegen die kommunistische Diktatur und Unterdrückung zu setzen, sondern um viel mehr. Das MSI tritt aktiv für ein inklusiveres Zusammenleben und die Modernisierung einer sehr altmodischen Gesellschaft ein, die sich durch Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Rassismus und ganz allgemein durch einen gravierenden Mangel an Toleranz auszeichnet. Somit ist das MSI selbstverständlich ein Teil der Demokratiebewegung auf Kuba. Man kann sogar sagen dass es ihr neues Leben eingehaucht hat.
Ich selber gehöre nicht dem MSI an, aber deren Vision für eine inklusive Gesellschaft interessiert mich sehr, daran arbeite auch ich. Ich beteilige mich auch auf Grund meiner Freundschaft mit Luis Manuel Ortero Alcantara, wir haben dieselben Ziele. Wir möchten dasselbe Gesellschaftsmodell für Kuba erreichen. Ich denke auch, dass es wichtig ist die Menschen durch Kunst zu motivieren und ihnen andere Perspektiven aufzuzeigen. So können sie jenseits der Strapazen des kubanischen Alltags eine neue Sicht auf die Dinge erhalten. Diese Ziele des MSIs sind auch meine Ziele. Sie setzen sich für das Kuba ein, das ich sehen möchte. Für dieses neue Kuba habe ich meine Sicherheit aufgegeben und riskiere mein Leben.
Kubas Machtelite tut alles, um Stimmen von Diktatur-Kritikern wie Daniel Ferrer, Felix Navarro, Guillermo Farinas oder die Damen in Weiß zum Schweigen zu bringen. Macht es da Sinn, wenn auch Künstler sich in Gefahr begeben und selbst zu politischen Gefangenen werden?
Niemand möchte sich in Gefahr begeben, aber Schweigen ist für uns mittlerweile keine Option mehr. Wenn man sich einmal dazu entschieden hat den Mund aufzumachen, entscheidet man sich auch für eine Repression, die immer schlimmer wird. Aber darüber denkt man nicht nach, um nicht den Mut zu verlieren. Wir wollen uns nicht auf unseren Aktivismus reduzieren lassen. Wir lachen und leben, aber das gefällt nicht Allen. Selbst Menschen, die unsere politische Einstellung teilen, hinterfragen manchmal unsere lebenslustige Art
Die Juli-Proteste haben gezeigt, wie groß die und Zufriedenheit und die Wut der Kubaner auf die Diktatur ist. Denken Sie, dass ich solche Proteste wiederholen werden?
Wenn man sich nach der Lehre der Politikwissenschaft richtet, wird es weitere Proteste geben. Denn die notwendigen Bedingungen für Proteste bestehen weiterhin. Zur Zeit gibt es einen Aufruf für eine Demonstration gegen die Gewalt. Die kubanische Zivilgesellschaft ist erwacht und es wird unmöglich sein, sie wieder einschlafen zu lassen.
Welche Vision haben Sie für das Kuba der Zukunft?
Das Kuba der Zukunft ist für mich eine souveräne Republik mit einer sozialen, demokratischen Staatsform. Ich bin nicht an einem ungezügeltem Neoliberalismus interessiert, der die Ausbeutung unserer Ressourcen favorisiert und uns wehrlos gegenüber ausländischen Investoren macht. Der Kommunismus hat uns ruiniert und wir müssen uns behutsam der Welt öffnen. Wir Kubaner können nicht ständig nur die Verlierer sein. Sechs Jahrzehnte Kommunismus haben uns blind werden lassen, das Regime hat unser Land zerstört und uns zu Bettlern werden lassen. Wir brauchen den Neuanfang, und wir müssen uns untereinander einig sein, um nicht in die Falle der Naivität zu tappen.
Die Fragen stellte Fernando Rivas
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