Kim und Putin: Zwei Diktatoren festigen ihre Bande

Die Präsidenten Nordkoreas und Russlands wollen vor allem auf militärtechnischem Gebiet noch enger zusammenarbeiten. Was bedeutet das für den Westen?

Das ist ein persönlicher Triumph, der vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine so nicht möglich gewesen wäre. Der international geächtete nordkoreanische Diktator Kim Jong-un hat systematisch darauf hingearbeitet und kann nun die Ernte einfahren: den Beistandspakt mit Russland und nahezu unbegrenzte militärtechnische Zusammenarbeit!

Das sichert Kims absolute Macht ab. Putins dreitägiger Staatsbesuch befriedigt Kims Bedürfnisse nach Bildern der Anerkennung und soll als Signal nach innen und außen wirken. Die Welt bekommt die gewünschten Bilder aus Pjöngjang. Die beiden Diktatoren umarmen sich auf dem roten Teppich, posieren als „coole Weltenlenker“ am Steuerrad, dazu massenhaft Fähnchen-schwenkende Jubelstatisten, viele bunte Luftballons, eine Überdosis militaristischen Pomps und am Ende wird noch eine perfekte Nachricht verbreitet: Kim ist zum Staatsbesuch nach Moskau eingeladen, denn Putin möchte ihn bald wiedersehen.

Seit September 2023 trafen sich innerhalb von nur zehn Monaten Kim und Russlands kriegsgeschwächter Dauerpräsident Wladimir Putin bereits zum dritten Mal. Kims totalitäre Herrschaft ist mit der grausamen Exekution seines Förderers und Onkels Jang Song Thaek 2013, den er ausgehunderten Hunden zum Fraß vorwarf, und der Ermordung seines Halbbruders Kim Jong Nam 2017 durch Nervengift verbunden.

Systematische Menschenrechtsverletzungen

Kim verantwortet die systematische und andauernde Missachtung der Menschenrechte, die Versklavung von hunderttausenden Nordkoreanern in Zwangsarbeitslagern, den Export und die Verleihung von Arbeitssklaven, die in der sibirischen Holzwirtschaft sowie auf Baustellen in Afrika und in arabischen Staaten zum Einsatz kommen, sowie die atomare Bedrohung Südkoreas, Japans und Taiwans. Ein exzessiver Personenkult um den Führer Kim und seinen Großvater, bei gleichzeitiger Abschottung seines Reiches Nordkorea von der übrigen Welt, sind wichtige Grundlagen des nordkoreanischen Herrschaftssystems.

Grundlegende Menschenrechte wie Informations-, Presse-, Vereinigungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit sind massiv eingeschränkt oder gar nicht vorhanden. Informationen über die Menschenrechtslage stammen vor allem von nordkoreanischen Flüchtlingen, denen es gelungen ist, das abgeriegelte Land zu verlassen. Ihre Berichte beschreiben schwere und schwerste Menschenrechtsverletzungen. Zuletzt berichtete m März 2022 das Büro der Hochkommissarin für Menschenrechte (OHCHR) der Vereinten Nationen, dass es hinreichende Gründe zu der Annahme gebe, dass in Nordkorea Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden seien.

Hungersnöte und atomare Bewaffnung

Der hochgerüstete Militärstaat Nordkorea kann seit Jahrzehnten die eigene Bevölkerung nicht ernähren. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung sind unterernährt. Hungersnöte gehören ebenso zur traurigen Realität in Kims Reich wie immer höhere Ausgaben für Waffen. Regelmäßig kommt es zu „Säuberungen“ in der herrschen Staatspartei und in der Militärführung. Kim setzt auf Erpressung der demokratischen und wirtschaftlich erfolgreichen Republik Korea. Dafür inszeniert sich Nordkorea als Dauerbedrohung des demokratischen Südens. 1,3 Mio. Soldaten, ständige Raketentests, provokative Grenzverletzungen durch nordkoreanische Soldaten sowie Provokationen durch das Senden von tausenden Ballons in den Süden mit Säcken voller Fäkalien, Zigarettenkippen, Stoffresten, Altbatterien und Altpapier. Einige platzten auf, der Inhalt verteilte sich auf Straßen und in Wohngebieten. Pjöngjang erklärte, dies sei Vergeltung für die Aktionen südkoreanischer Aktivisten, die Ballons mit Informationen über die Menschenrechte, Religionsfreiheit und das Leben außerhalb Nordkoreas nach Norden schicken.

Wer dem Regime Kims, das von den Vereinten Nationen wegen seiner Atom- und Raketenpolitik sanktioniert wird, auf Augenhöhe begegnet, ist tief gesunken. Davon geht der Kriegsherr Putin selbst aus. Ähnlich wie Kim ist er verantwortlich für politische Morde. Die Menschenrechtsaktivistin und Journalisten Anna Politkówskaja 2006, der liberale Regimekritiker und Oppositionspolitiker Boris Nemzow 2015 und der Oppositionelle und Bürgerrechtler Alexej Nawalny in diesem Jahr sind nur die bekanntesten Opfer Putins.

Kim-Totalitarismus in dritter Generation

Im Militärstaat Nordkorea wird die Herrschaft bereits seit 76 Jahren vererbt. Dabei stört nicht, dass es eine formell regierende kommunistische Arbeiterpartei mit einem Politbüro an der Spitze gibt. Die sogenannte Juche-Ideologie sichert das totalitäre Führungssystem ab. Seit Kim Il Sung, der gottgleich verehrte „ewige Präsident“ und Großvater von Kim Jong-un, am 9. September 1948 mit Hilfe Chinas und der Sowjetunion die Demokratische Volksrepublik Korea errichtete, wird die Macht jeweils in der Familie weitergegeben. 1994 starb Kim Il Sung, der von ihm geführte Staat hatte sich im Zeichen der isolationistischen Juche-Ideologie fast gänzlich von der Welt abgeschottet.

Nachfolger als Staatschef wurde sein Sohn Kim Jong Il. Präsident Nordkoreas ist jedoch auch posthum weiterhin Kim Il Sung. Seine Herrschaft steht im Zeichen großer Hungersnöte und gigantischer Ausgaben für eine atomare Bewaffnung. 2005 erklärte Nordkorea, dass es Atomwaffen besitze. Wegen fortgesetzter Kernwaffentests verurteilte 2006 der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Nordkorea einstimmig und verhängte eine Reihe von wirtschaftlichen Sanktionen, die bis heute bestehen.

„Großartiger“ Führer von Partei, Armee und Volk

Nach dem Tod Kim Jong Ils 2011 wurde dessen Sohn Kim Jong-un als „großartiger Nachfolger und Führer von Partei, Armee und Volk“ und zum  „obersten Führer“ der Partei und des Militärs ausgerufen. Er stützt seine Herrschaft vor allem auf Verwandte, die er in wichtige Positionen bringt. Nicht ein Militär oder Parteifunktionär, sondern die sogenannte Prinzessin Kim Yo Jong, Kim Jong-uns Schwester, ist die Nummer 2. Die Informatikerin gehört bereits seit 2017 dem Politbüro an und gilt als engste Beraterin ihres Bruders und Mitregentin.

Erpressung, Exekutionen, atomare Bedrohung

Hinrichtungen und das plötzliche Verschwinden bedeutender Teile der unter Kim Jong-uns Vater aufgebauten Elite, Erschießungen von Flüchtlingen an der Grenze und die aggressive Bedrohung Südkoreas durch Raketentests, mit denen Seoul zu Wohlverhalten gegenüber Nordkorea erpresst werden sollte, verstärkten die Isolation des nordkoreanischen Regimes. Die internationale Staatengemeinschaft, selbst die Volksrepublik China verurteilten diese erneuten Drohgebärden scharf und mahnten Nordkorea zur Mäßigung.

Zwangsarbeitslager, Folter, Kinderarbeit

In Nordkorea leisten auch Kinder Zwangsarbeit. In den Zwangsarbeitslagern werden Schätzungen zufolge derzeit zwischen 150.000 und 200.000 Menschen festgehalten. Folter, Mord, Vergewaltigung, medizinische Experimente, Zwangsarbeit und erzwungene Abtreibungen sowie heimliche Exekutionen sind dort an der Tagesordnung. Viele der Insassen in den Lagern wurden dort bereits geboren, etliche leiden bereits in dritter Generation im Lagersystem.

Nirgendwo werden Christen laut dem Weltverfolgungsindex des christlichen Hilfswerks „Open Doors“ so unerbittlich drangsaliert und angefeindet wie in Nordkorea. Menschen, die aus religiösen Gründen verhaftet wurden, sind in diesen Lagern noch viel strengeren Behandlungen ausgesetzt als andere Gefangene.

Der nordkoreanische Staat zwingt auch Kinder, unter gefährlichen Bedingungen im Kohlebergbau und in landwirtschaftlichen Betrieben zu arbeiten. Die Schule hat keinen Vorrang. Kinder werden häufig aus der Schule zu Arbeitseinsätzen abkommandiert, für die sie auch körperlich nicht geeignet sind.

Selbst Putin wahrte lange Zeit Abstand zur nordkoreanischen Führung unter dem in dritter Generation herrschenden Kim Jong-un. Aber der russische Angriff auf die Ukraine mit dem Ziel eines schnellen Sieges erwies sich auch militärisch als fataler Fehler. Russlands Kriegsmaschinerie fehlten sowohl Material als auch Soldaten, um sich auf dem Schlachtfeld durchzusetzen. Um den Mangel an Munition, Artilleriegranaten, Marschflugkörpern, Raketenersatzteilen und Militärtechnik zu zu kompensieren, gab es für Putin nur wenige Optionen. Das veränderte die geopolitische Situation. Der Schurkenstaat Nordkorea war plötzlich begehrt und liefert, was Putin braucht.

Bereits vor seinem Besuch in Nordkorea hatte Putin die von Kim erwarteten Gegenleistungen angedeutet und Pjöngjang für die Unterstützung der russischen Offensive in der Ukraine gedankt. „Wir wissen es sehr zu schätzen, dass die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) die militärische Spezialoperation in der Ukraine entschlossen unterstützt“, schrieb Putin in einem von der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA veröffentlichten Gastbeitrag.

Im Jahr 2023 betrug die Bevölkerungszahl in Südkorea 51,78 Millionen Menschen, davon sind nach Regierungsangaben 600.000 Soldaten. Bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 26,2 Millionen Einwohnern unterhält Nordkorea mit rund 1,3 Millionen aktiven Soldaten eine der zahlenmäßig größten Armeen der Welt. Neben China, Indien und den USA ist es damit eines von nur vier Ländern auf der Erde, das zu Friedenszeiten ständig mehr als eine Million Soldaten unterhält.

Der unterzeichnete Partnerschaftsvertrag zwischen Kims Nordkorea und Putins Russland stellt eine neue Qualität in der Bedrohung Südkoreas dar, denn er umfasst gegenseitigen „Beistand“ im Fall einer „Aggression“ gegen einen der beiden Staaten. Was eine Aggression ist, definieren die beiden Diktatoren. Das demokratische und prowestliche Korea droht zu einem weiteren Opfer des russischen Überfalls auf die Ukraine zu werden. Davor dürfen auch die europäischen Staaten nicht die Augen verschließen.

Zuerst erschienen in The European am 26. Juni 2024

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