Kubas Satan residiert an Punkt Null
Kubanisches Leben mit und am Randes der Katastrophe
Von Jorge Ángel Pérez, Übersetzung Fernado Rivas
Man könnte diesen Artikel „Últimos días de una casa“ (Die letzten Tage eines Hauses) nennen, aber diesen Titel von Dulce María Loynaz habe ich schon verwendet, als ich vor einigen Jahren über den tödlichen Einsturz eines Hauses berichtet habe. „Un país es como una casa“(Ein Land ist wie ein Haus) wäre eine weitere Option, aber auch diese Überschrift habe ich schon für einen Artikel verwendet. Darin berichtete ich über den Einsturz eines Hauses, das nur zwei Blocks von meiner Wohnung entfernt war.
Ich glaube immer noch, dass unter den vielen Einstürzen, über die ich bisher geschrieben habe „Se derrumbó un pedazo de mi vida“ (Ein Stück meines Lebens stürzte ein) der traurigste von allen war. Es war schmerzhaft für mich über den Einsturz dieses alten Hauses aus dem 18. Jahrhundert zu schreiben, das früher zunächst eine Adelsfamilie aus Havanna und dann viele Kubaner, darunter auch mich, beherbergte.
Ich glaube also, dass ich ohne Zweifel an Katastrophen gewöhnt bin. An den Tod und die Qualen, die mit jenen Ereignissen einhergehen, die nichts mit der Natur zu tun haben. Ereignisse, die nichts mit Wirbelstürmen, Tsunamis, Erdbeben oder irgendeiner der schlimmsten Naturgewalten zu tun haben, sondern mit Nachlässigkeit, Fahrlässigkeit, Elend und Lieblosigkeit. Diese erweisen sich oft als die schrecklichsten Katastrophen, weil sie vermeidbar wären.
Das Erdbeben in der Türkei schmerzt sehr. Diese Bilder und die Nachrichten, die uns jeden Tag erreichen, die vielen Geschichten von verlorenen Menschenleben und begrabenen Familien schmerzen sehr. Zweifelsohne bereitet sich die moderne Welt, und insbesondere die höher entwickelte Welt, auf solche Ereignisse vor, indem sie erdbebensichere Strukturen schafft, aber manchmal reicht Prävention nicht aus. In der Türkei scheint die dortige Regierung versagt zu haben, was erdbebensicheres Bauen angeht.
Wir Kubaner wissen viel über Katastrophen; einige von ihnen sind natürlich, aber die meisten sind auf Kuba menschengemacht. Wirbelstürme stehen an zweiter Stelle unter unseren Unglücksfällen; an erster Stelle steht die kommunistische Regierung, die meistens auch die Schuld an den durch solche Naturereignisse verursachten Schäden trägt. Auch hier kann ein kleiner Wind eine Katastrophe auslösen, und auch hier ist die Regierung schuld, weil sie sich nicht um die Bausubstanz kümmert, und viele Menschen leben noch in Gebäuden aus dem 17 Jahrhundert.
Leben in Ruinen – Folgen des Kommunismus
Man muss nur durch die Stadt gehen, um die Folgen des Kommunismus zu entdecken. Es reicht, wenn man sieht, dass ein Gebäude welches kurz vor dem Einsturz steht, dennoch bewohnt wird. Es reicht, durch die Stadt zu gehen und in den Parks die Obdachlosen auf den Bänken zu sehen oder die armen alten Frauen auf den Bürgersteigen. Und was ist mit den anderen? Was passiert, wenn man schläft und keinen Park durchquert? Wie viele Obdachlose, die auf einer Bank im Freien liegen, würden auf eine große Katastrophe hindeuten? Die Katastrophe einer Regierung?
Für viele mögen die größten Unterschiede zwischen den Menschen die zwischen Gesunden oder Todkranken sein. Oder zwischen Reichen und Armen. Das Leben auf der Straße und die Trostlosigkeit, die Verzweiflung, die damit einhergeht, muss das sein, was einer tödlichen Krankheit, einer „Landschaft nach der Schlacht“ am nächsten kommt. Noch schlimmer ist es, wenn der Obdachlose dann sieht, wie die vielen Hotels aus dem Boden schießen, aus denen ein reicher Tourist Geld werfen könnte, um zu sehen, wie wir uns gegenseitig zerfleischen, um an einen Schein zu kommen.
Eine Warteschlange in Kuba hat Ähnlichkeiten mit dem panischen Verlassen eines Gebäudes, das lichterloh in Flammen steht. Eine Flucht aus Kuba ähnelt sehr dem Ansturm, der auf den unerwarteten Einsturz einer Mauer oder dem Herabfallen eines Dachziegels folgt. Wir Kubaner leiden unter schrecklichen Wetterereignissen, die meistens verheerend sind, vor allem wegen des schlechten Zustands der Häuser, die bei dem kleinsten Windstoß zusammenbrechen könnten, aber vor allem wegen der Nachlässigkeit einer Regierung, die den Bau von teuren Hotels bevorzugt und uns vernachlässigt.
Wenn das Regime ein Haus renoviert, berichten die Staatsmedien sehr gerne darüber. Gar nicht gerne berichten die Staatsmedien über den Dreck, der das kubanische Leben begleitet. Die Ratten, die es in jeder Umgebung gibt, die Kakerlaken. Die Ungleichheiten, die in unseren Städten herrschen, sind den Staatsmedien keine Schlagzeile wert. Die Türkei wurde von einem Erdbeben heimgesucht, aber Kuba leidet an einer tödlichen Krankheit, die nichts anderes ist als die Unfähigkeit der Kubaner, sich selbst zu verwirklichen, und die Verzweiflung, die entsteht, wenn man den Tod spürt, den lebendigen Tod, sogar den Tod im Leben.
Wir brauchen in Kuba eine neue Ordnung, aber die lässt in Kuba ewig auf sich warten. Dieses unglückliche Schicksal der letzten sechzig Jahre, scheint ewig zu wären. Es scheint, dass die Zukunft und die Hoffnung uns vergessen haben. Viele Kubaner glauben, dass es sich um ein Schicksal handelt, das uns von irgendeiner höheren Macht auferlegt wurde. Sie glauben, dass wir es in trauriger Konformität akzeptieren sollten. Man braucht nur einen Blick auf Kuba zu werfen, um zu denken, dass die Insel Opfer eines verheerenden Erdbebens, eines Tsunamis und eines Hurricanes geworden ist. Aber Kuba wurde von keiner Naturkatastrophe heimgesucht, sondern vom Kommunismus. Dieses System ist von Menschen gemacht.
Punto Cero
Wir haben bereits den Einsturz eines Balkons gesehen, bei dem zwei Mädchen ums Leben kamen, und viele andere Einstürze. Die Stadt, eine der schönsten der Welt, ist jetzt eine Ruine, und ihre Bewohner sehen aus wie jemand, der ein Erdbeben erlitten hat. Eines dieser Beben, die durch diese Erdplatten verursacht werden, die sich bewegen und Verwerfungen an der Oberfläche erzeugen. Man sagt, Satan sei unter der Erde, und das könnte die Erdbeben erklären. Ich aber bin geneigt zu glauben, dass Satan unter uns ist, an einem Punkt, der auf Kuba Punkt Null* heißt. Von diesem Punkt geht die ständige und enorme Zerstörung aus, unter der wir leiden.
*„Punto Cero“, der „Punkt Null“ ist die auf Kuba geläufige Bezeichnung für die Residenz der Familie Castro. (Anmerkung des Übersetzers.)
No responses yet