Kuba:
Künstler gegen die Diktatur
Das Movimiento San Isidro (MSI) (Deutsch: Bewegung des Heiligen Isidors) ist ein von Luis Manuel Otero Alcantara im Jahr 2018 gegründeter Zusammenschluss von unabhängigen Künstlern. Der Name zeugt nicht etwa von dem katholischen Glauben der Künstler, sondern ist geografischer Natur. San Isidro ist der Name des Viertels in der Altstadt von Havanna, in dem sich der Sitz der Organisation befindet.
Gegründet wurde das MSI als Reaktion auf das Dekret 349 der kubanischen Regierung, das im Jahr 2018 beschlossen wurde und welches die Kunstfreiheit in Kuba noch weiter einschränkte. In den Jahren vor dem Dekret entstand auf Kuba, trotz aller bestehenden Beschränkungen, eine lebhafte, unabhängige Kunstszene, die eng mit dem aufstrebenden Privatsektor der Insel verbunden war. Musiker spielten in privaten Restaurants und Bars, Künstler stellten ihre Kunst in Privatwohnungen aus oder luden zu einer Vernissage in einem privaten Restaurant. Es gab auch private Theater- und Filmvorführungen. Ebenso entstanden kleine private Galerien und ein Markt für Kunst, der außerhalb der staatlichen Kontrolle und Zensur lag.
Leider ist dem kubanischen Regime alles was es nicht kontrolliert ein Dorn im Auge. Das Dekret 349 schreibt somit für jegliche öffentliche Darbietung von Kunst eine Genehmigung vor. Laut dem Dekret ist diese nur zu erteilen, wenn die Kunst mit der „Kulturpolitik der Revolution“ übereinstimmt. Öffentliche künstlerische Darbietung ohne Genehmigung sind verboten und können von der Polizei aufgelöst werden. In der Praxis bedeutet dies eine extrem willkürliche Handhabung des Genehmigungsverfahrens und das Aus von jeglicher regimekritischer Kunst auf Kuba.
Aus Protest gegen diese Drangsalierung gründete Luis Manuel Ortero Alcantara das MSI. Bereits kurz nach der Gründung machte die Bewegung durch öffentliche Protestaktionen gegen das Dekret 349 auf sich Aufmerksam. Danach wurde es eine Zeit lang ruhiger um das Künstlerkollektiv, bis es im November 2020 wieder international Aufmerksamkeit erregte.
Der regimekritische Rapper Denis Solis war verhaftet und zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Das staatliche kubanische Institut des Raps erkennt ihn nicht als Rapper an. Er hat ein Auftrittsverbot und seine Lieder werden Niemals im Radio gespielt, da sie die Castro-Diktatur kritisieren. Für die kubanischen Behörden ist der aus schwierigen Verhältnissen stammende Denis Solis einfach ein Asozialer. Aus bisher ungeklärten Gründen drang ein Polizist ohne Durchsuchungsbefehl in seine Wohnung ein. Er filmte den Vorgang auf seinem Handy und streamte Alles live auf Facebook. In dem Video ist zu sehen wie er den Polizisten wüst beschimpft, was ihm schließlich zum Verhängnis wurde. Die Anklage gegen ihn lautete auf Widerstand gegen die Staatsanwalt und das Schnellverfahren endetet mit einer Verurteilung zu 8 Monaten Haft.
Schon kurz nach seiner Verhaftung versammelten sich die Mitglieder des MSI aus Solidarität mit Denis Solis vor der Polizeiwache in der er festgehalten wurde. Nach seiner Verurteilung verbarrikadierten sich die Künstler im Sitz der Bewegung und einige Mitglieder begannen einen Hungerstreik. Damit hatte das Regime anscheinend nicht gerechnet, und es wusste zunächst nicht, wie es sich verhalten sollte. Nachdem man die Aktivisten beinahe eine Woche lang gewähren lies, benutzte man am 16. November den Vorwand eines Covid-19 Tests um sich Zugang zum Gebäude zu verschaffen. Unter den weißen Ärztekitteln versteckten sich Polizisten, die die Aktivisten unter Gewaltanwendung abführten.
Zwar wurden diese schnell wieder auf freien Fuß gesetzt, es rumorte in Kuba jedoch gewaltig. Am nächsten Tag, den 27. November, versammelten sich 300 Künstler vor dem Kulturministerium und forderten ein Ende der Repressionen gegen das MSI und einen Dialog über die Kunstfreiheit in Kuba. Einige die sich dort versammelten waren zwar bekannte kritische Künstler wie z.B. Tania Bruguera, aber es waren auch eine ganze Reihe von Künstlern dort, die vorher nie durch politische Äußerungen aufgefallen waren. Der sehr erfolgreiche kubanische Pop-Sänger Leoni Torres war ebenso vor Ort wie der auch international bekannte Schauspieler Jorge Perugorria (Netflix: Fours Seasons in Havanna). Neben ihrem Talent verdanken beide Männer ihrem Erfolg auch dem Umstand, dass sie bis jetzt zu politischen Fragen immer geschwiegen haben. Hätten sie schon früher offen Kritik am Regime geübt, wären sie auf Kuba niemals so berühmt und erfolgreich geworden. Wie viele andere Kubaner hätten auch sie ihr Glück im Exil suchen müssen.
Dass sich so viele unpolitische Künstler an der Aktion beteiligt haben, ist definitiv ein Novum für Kuba. Überhaupt sind öffentliche, kritische Demonstrationen eine absolute Seltenheit in dem kommunistischen Land. Ein solcher Akt kann auf Kuba ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen, die von Berufsverboten bis zu Haftstrafen reichen. Für die beteiligten Künstler, aber insbesondere für die Unpolitischen unter ihnen, stellt die Teilnahme an einer solchen Demonstration also ein erhebliches Risiko da. Es gibt keine Garantie, dass ihre Lieder noch im Radio gespielt werden oder sie noch Rollen in Serien oder Spielfilmen angeboten bekommen. Dennoch haben sich viele von ihnen zu diesem Schritt entschlossen. Die Unzufriedenheit über die Zustände in Kuba ist anscheinend mittlerweile größer als die Angst vor Repressalien.
Das kubanische Regime wurde von dieser Art von spontanen Widerstand zunächst überrumpelt. Die Machthaber sind es gewohnt, dass die Kubaner alles kritiklos hinnehmen. Mit den wenigen Kritikern im Land wird die Staatssicherheit, die nicht nur den Namen, sondern auch die Methoden in der DDR gelernt hat, problemlos fertig. Aber wie sollte man mit hunderten Kubanern, die friedlich vor einem Ministerium demonstrieren, bloß umgehen? Stundenlang geschah erstmal überhaupt nichts, während die Menschenmenge vor dem Kulturministerium immer größer wurde. Spät in der Nacht geschah dann das Unglaubliche: Das Regime ging tatsächlich auf die Forderungen der Demonstranten ein. Der Vize-Minister für Kultur traf sich mit einigen von ihnen und stimmte dem geforderten Dialog zu. Darüber hinaus wurde vereinbart die Repressalien gegen das MSI einzustellen und das Dekret 349 zu überarbeiten. Ebenso sollte die Haftstrafe von Denis Solis überprüft werden. Die Demonstranten gingen zufrieden und friedlich wieder nach Hause.
Das war allerdings genau das, was das Regime erreichen wollte. Eine große Menschenmenge vor einem Ministerium kann man nur einschüchtern in dem man Gewalt anwendet. Das gibt aber auf der ganzen Welt sehr unschöne Bilder und Schlagzeilen. Sind die Menschen erstmal alle wieder alleine zu Hause kann man dagegen die bewährten Stasi-Methoden anwenden, die zwar kaum Aufmerksamkeit erregen, aber ihre Wirkung nur selten verfehlen. Aus diesem Grunde kündigte das Regime die Vereinbarung mit den Demonstranten nach nur 2 Tagen einseitig. Gleichzeitig begann eine großangelegte Medienkampagne gegen Denis Solis, das MSI und die Teilnehmer der Demonstration, von denen sich viele nun Movimiento 27-N nannten (Bewegung des 27. November). Denis Solis und das MSI seien von der CIA bezahlte Söldner, die auf Kuba versuchen würden einen Regime-Change durchzuführen. Die Hauptnachrichten des kubanischen Fernsehens befassen sich seit Ende November immer wieder mit den Mitgliedern des MSI und diffamieren sie auf übelste Weise. Die Teilnehmer der Demonstration, die vorher nicht durch Kritik am Regime aufgefallen waren, wurden als von Desinformation manipulierte Unwissende dargestellt. Neben dieser medialen Hetzkampagne sind die Mitglieder des MSI täglichen Repressalien der Staatssicherheit ausgesetzt. Willkürliche Verhaftungen sind ebenso an der Tagesordnung, wie Hausarrest und „spontane“ Beschimpfungen durch Gruppen „revolutionärer Bürger“.
Seit dem 27. November hat es auch erstmal keine weiteren Demonstrationen auf Kuba gegeben. Das Leben geht scheinbar seinen gewohnten Gang, nur dass die Versorgungslage immer schlechter wird. Neu ist auch, dass im Fernsehen regelmäßig über die Opposition berichtet wird. Zwar ist diese Berichterstattung durchweg negativ und falsch, aber noch vor 1-2 Jahren wäre es komplett undenkbar gewesen, dass das Staatsfernsehen die Opposition überhaupt mit nur einem Wort erwähnt. Früher wurden die Oppositionellen einfach totgeschwiegen. Dafür sind sie jetzt zu laut geworden.
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