Kulturelle Vielfalt vergeblich gesucht- Warum es so wenige Politiker mit Migrationshintergrund gibt

Von Mustafa Al-Ammar

In Deutschland haben viele Auswanderer ein neues Zuhause gefunden, im Parlament hat jedoch nur jeder 10. Abgeordnete einen Migrationshintergrund. Wie kann das sein und werden die Interessen dieser 26 Prozent unserer Bevölkerung somit überhaupt richtig vertreten?  Der Integrationsexperte Mustafa Al-Ammar hat sich eingehend mit dieser Frage beschäftigt und die Gründe analysiert, warum so wenige Menschen mit ausländischen Wurzeln den Weg in die Politik wählen. In einem exklusiven Gastbeitrag hat er uns erklärt, warum sich daran dringend etwas ändern muss und dank welcher Maßnahmen eine repräsentative Vertretung von Migranten im Parlament möglich sein kann. 

1. Bildung als Schlüssel in die Welt der Politik

Schaut man sich aktuelle Studien genauer an, so zeigt sich leider immer noch ein eklatanter Unterschied wenn es darum geht, welche Kinder eine höhere Ausbildung genießen und welche nicht. Der soziale und gesellschaftliche Background spielt hierbei nämlich eine ganz entscheidende Rolle. Selbst, wenn die jeweiligen Familien bereits in dritter oder vierter Generation in Deutschland ansässig sind, treten die Nachkommen sehr häufig in die beruflichen Fußstapfen ihrer Eltern beziehungsweise Großeltern. Das bedeutet im Klartext: Haben die Eltern nicht studiert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder eine Universität besuchen werden, äußerst gering. Leider gilt eine höhere Ausbildung jedoch noch immer als einer der wichtigsten Faktoren, um eine politische Karriere starten zu können und es tatsächlich ins Parlament zu schaffen. Wenn wir dafür sorgen möchten, dass Menschen mit Migrationshintergrund echte Chancen auf eine politische Karriere haben, ist es daher unumgänglich ihre Bildungsmöglichkeiten zu verbessern und das unabhängig davon, welche Schule ihre Eltern besucht haben beziehungsweise ob diese auf der Universität waren oder nicht.   

2. Vorurteile sind leider immer noch präsent

Alltagsrassismus ist allgegenwärtig und selbst der toleranteste Mensch muss zugeben, vor dem einen oder anderen Vorurteil nicht gefeit zu sein. Das lässt sich zum Beispiel vor allem daran erkennen, dass wir einer Person, die nicht perfekt Deutsch spricht, nicht dasselbe thematische Fachwissen zutrauen,  wie einer Person, die in einwandfreiem Deutsch den gleichen Sachverhalt erklärt. Hat ein Politiker auch nur den Hauch eines Akzents, wird er daher gleich um einiges genauer unter die Lupe genommen und seine Thesen werden zudem häufiger in Frage gestellt. Soll sich daran etwas ändern, wird es unausweichlich sein noch offener über das Thema Rassismus und Vorurteile zu sprechen beziehungsweise Aufklärungsarbeit in diesem Bereich zu leisten. Nur, wenn das gelingt, haben Politiker mit Migrationshintergrund wirklich die gleichen oder zumindest annähernd gleichen Möglichkeiten ins Parlament einzuziehen und somit eine weit unterrepräsentierte Wählerschicht zu vertreten. 

3. Menschen mit gleicher Geschichte als Türöffner in die Politik

Stellen Sie sich folgendes vor: Sie kommen in einem Raum, in dem sich lauter grüne Männchen befinden. Selbstverständlich werden Sie versuchen, so schnell wie möglich einen anderen Menschen zu finden, um einen Verbündeten zu haben und einen ersten Kontakt herzustellen. Wir Menschen sind soziale Wesen und benötigen oft eine andere Person, um uns einer neuen Gruppe anzuschließen beziehungsweise uns an diese heranzutrauen. Das gilt selbstverständlich auch in der Politik. Wer hingegen glaubt, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund  einfach nicht gerne in die Gesellschaft einfügen und am sozialen Leben in Deutschland teilhaben wollen, wird von zahlreichen Statistiken schnell eines Besseren belehrt, denn vor allem in Sport- und anderen Vereinen sind diese sehr stark vertreten. Nur die Politik scheint für viele noch immer ein rotes Tuch zu sein, was vor allem auch daran liegen könnte, dass es zu wenige Vorbilder gibt, die diesen Weg bereits gegangen sind. 

Könnte eine Quotenregelung die Lösung sein?

Aufgrund der starken Unterrepräsentierung von Migranten in unserem Parlament werden selbstverständlich immer wieder Rufe nach einer sogenannten Quotenregelung laut. Diese würde dafür sorgen, dass eine gewisse Anzahl der Parlamentsitzen automatisch an Menschen mit ausländischen Wurzeln vergeben werden und das unabhängig davon, an welche Stelle sie gewählt wurden. Tatsächlich sind es jedoch oft die betroffenen Personen selbst, die sich gegen diese Lösung aussprechen, da sie schließlich aufgrund ihrer Leistung, ihrer Argumente und ihrer Persönlichkeit gewählt werden wollen und nicht einfach nur so einen Platz im Parlament haben möchten. 

Mehr ausländisch stämmige Menschen in unserem Parlament – Mustafa Al-Ammar weiß, wie es gelingen kann

Mehr Bildungsgerechtigkeit für alle, rassistische Vorurteile endlich aus dem Weg räumen und Menschen mit Migrationshintergrund aktiv dabei unterstützen, ihren Weg in die Politik zu finden- nur wenn diese Punkte berücksichtigt werden, ist eine Demokratie möglich, die wirklich die Interessen aller gesellschaftlichen Schichten und sozialen Gruppierungen widerspiegelt. Ein solches Vorgehen wäre zudem eine viel effektivere und langfristigere Lösung, als eine durch Quotenregelung erzwungenene. Einem gerechteren und vor allem auch friedlicheren Miteinander, bei dem jede Stimme gehört und vertreten wird, steht somit nichts mehr im Wege. 

Mustafa Al Ammar
Mustafa Al Ammar ist gebürtiger Iraker und seit 2009 deutscher Staatsbürger. Seine Geschichte wurde im Mai 2018 von “arte“ verfilmt. Mustafa war ein berühmter Sänger in seiner Heimat Irak und später auch in Jordanien. Weil er sich jedoch immer wieder kritisch gegenüber dem Regime geäußert hat, ist er natürlich auch den Geheimdiensten aufgefallen, sodass er gezwungen war, während der Pause eines Konzertes, das er in Algerien gab, auf dramatische Art und Weise und unter Bedrohung seines Lebens nach Deutschland zu fliehen. Nach anfänglicher Arbeit in Flüchtlingslagern hier in Deutschland und „kritischer“ Mitarbeit beim „BAMF“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), in der er eindringlich auf die Missstände aufmerksam machte, wurde er nach und nach ein aktiver Politiker und ist heute Integrationsbeauftragter des Landes Baden-Württemberg und Vorsitzender des Vereins „Humanitär ohne Grenzen“.

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