Patria y Vida: Ein Lied, das das Regime in Havanna nervös macht
Das Musikvideo auf Youtube ist nur ca. 4 Minuten lang, aber die haben es in sich. Patria y Vida, Vaterland und Leben, ist ein Lied für den politischen Wandel auf Kuba. Schon der Titel ist eine Kampfansage an das autoritäre Motto der Revolution, Patria o Muerte, Vaterland oder Tod.
Der Text handelt von der Unterdrückung, der sozialen Ungleichheit, der Armut und der Misere im kommunistischen Kuba. Auch das Movimiento San Isidro ist Thema. Im Musikvideo sieht man wie die kubanische Polizei gegen friedliche Demonstranten vorgeht. Das ist nicht neu, solche Lieder gab es auch schon vorher. Aber diesmal singt es kein Unbekannter, sondern die Stars der kubanischen Reggaeton Szene. Das international erfolgreiche Latinpop-Duo Gente D’ Zona ist ebenso dabei wie der kubanische Sänger Descemer Bueno. Beide sind Haushaltsnamen im Genre für Lateinamerikanische Musik. Beiden traten schon mit internationalen Superstars wie Enrique Iglesias oder Pitbull auf. Beide waren bis jetzt strikt unpolitisch. Bis jetzt sangen sie nur von der Liebe, wie gefühlt 99% der kommerziell erfolgreichen lateinamerikanischen Musiker. Nun fordern sie ein Ende der Diktatur auf Kuba, Freiheit und Demokratie.
Das Lied schlägt ein wie Bombe. Veröffentlich am 17. Februar, wurde es heute am 19. Februar auf Youtube schon 850.000 Mal angeschaut. Über die sozialen Medien verbreitet sich das Video auch in Kuba. Der mutige oppositionelle Jose Daniel Ferrer beschallt damit seine Nachbarschaft in Santiago und fragt Passanten Live auf Facebook, ob sie das Lied kennen. Die meisten antworten mit ja. Vor kubanischen Botschaften auf der ganzen Welt spielen Demonstranten das Lied ab und streamen die Aktion auf Facebook und Instagram. Ohne Zweifel ist dieses Lied eins der erfolgreichsten gegen die Castro-Diktatur gerichteten Protestsongs.
Die Diktatur reagiert nervös, fast hysterisch: Sie startet eine massive Medienkampagne gegen das Lied. Sämtliche Tageszeitungen diffamieren die Interpreten als von den USA bezahlte Marionetten und verteidigen das offizielle Motto „Vaterland oder Tod“. Das kubanische Staatsfernsehen beschäftigt sich in den 20Uhr Nachrichten 10 Minuten lang mit dem Song und schlägt natürlich den selben Ton an. Auch in den sozialen Medien setzt das Regime sofort eine Hetzkampagne in den Gang. Das kubanische Kulturministerium postet diffamierende Memes über die Sänger, in einer Pressemitteilung beschimpft das Ministerium die Sänger als Ratten. Andere dem Regime nahestehende Social Media Accounts beschimpfen die Sänger als Drogenabhängige uns Kriminelle. Miguel Diaz Canel, der Präsident höchstpersönlich, reagiert auf Twitter und schlägt stattdessen das Lied „Asi se canta a la patria“ vom kommunistischen Sänger Sylvio Rodriguez vor.
Ein Sprichwort besagt „Getroffene Hunde bellen“. Wenn man auf einen Vorwurf sehr heftig reagiert, ist wohl viel Wahres dran. Die überzogene Reaktion des Regimes auf das Lied macht zwei Dinge mehr als deutlich: Zum einen beschreibt der Songtext die Lage in Kuba wahrheitsgemäß und zum zweiten hat das Regime ziemliche Angst. Es hat Angst vor der Wahrheit, vor den sozialen Medien, vor dem eigenen Volk und vor allem Angst vor dem eigenen Ende. Eine Diktatur, die sich sicher ist ihr Volk fest im Griff zu haben, würde einem einfachen Lied niemals so viel Aufmerksamkeit schenken und dermaßen unsouverän reagieren. Denn durch die Hetzkampagne bekommt das Lied ja erst richtig Aufmerksamkeit. So erfährt wirklich jeder Kubaner von seiner Existenz, auch die älteren Kubaner die nicht im Internet unterwegs sind.
So handelt nur eine Diktatur die ziemlich verzweifelt ist. Und das ist das kubanische Regime. Der Zusammenbruch des Verbündeten Venezuelas, Covid-19 und die US-Sanktionen haben sich zu einem perfekten Sturm zusammengebraut, der die sozialistische Mangelwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht haben. Die Läden auf Kuba sind noch viel leerer als sonst, die Kubaner haben Hunger. Das steigert natürlich die Unzufriedenheit im Land massiv. Denn wie der oppositionelle Schriftsteller Jorge Angel Perez stets betont: Mit dem Magen spielt man nicht. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Movimiento San Isidro, der Protest vor dem Kulturministerium am 27. November, und das Lied Patria y Vida. Die Unzufriedenheit auf Kuba wird langsam größer als die Angst.
Autor: Fernando Rivas
No responses yet