Performances, Pompidou, Polizeigewahrsam: Wer ist Luisma?

Luis Manuel Otero Alcantara, seine Freunde nennen ihn Luisma, ist einer der Stars der kritischen Kubanischen Kunstszene. Geboren wurde er am 2. Dezember 1987 in einem Armenviertel des Stadtteils Cerro in Havanna. Er stammt aus schwierigen Verhältnissen. Sein Vater war ein Krimineller, der immer mal wieder für Jahre im Gefängnis saß. Seine Mutter musste ihn quasi alleine großziehen. Die Gegend in der er Aufwuchs ist arm und gefährlich. Niedrige, heruntergekommene Häuser prägen das Viertel ebenso wie Drogen, Gewalt und Kriminalität. Streitigkeiten unter Anwohnern werden oft mit der Machete ausgetragen, und die Einwohner der besseren Viertel meiden diese Gegend um jeden  Preis. 

Luis Manuel Otero Alcantara während einer Performance mit der kubanischen Flagge vor dem Kapitol in Havanna

Hinzu kam, dass die 90er Jahre eine überaus schwierige Zeit in Kuba waren. Nachdem Zusammenbruch des Ostblock und dem Ende der Subventionen versank das Land in einer beispiellosen Wirtschaftskrise, die zu viel Not und Verzweiflung führte. Es mangelte an Allem, Strom gab es nur für wenige Stunden am Tag und der kleine Luisma bekam nie sonderlich viel zu Essen. Als Schulkind besaß er für lange Zeit nur ein paar Schuhe, welches die meiste Zeit kaputt war. 

Früh zeigten sich jedoch seine Begabung und sein unabhängiger Geist: Er schnitze sich seine Spielzeuge selbst aus Holz und mit 10 fing er an zum Einkommen seiner Familie beizutragen. Zuerst säuberte und verkaufte er Ziegelsteine aus den vielen Ruinen Havannas, die mangels neuen Baumaterials auf Kuba gerne wiederverwendet werden. Später verkaufte er dann selbst gebrannte DVDs. Als Jugendlicher interessierte er sich zunächst für den Leistungssport. Darin sah er einen Weg raus aus der Armut. Er trainierte hart als Langstreckenläufer und war zunächst sehr erfolgreich. 

Zum Ende seiner Schulzeit hin faszinierte ihn aber die Kunst mehr als der Sport, insbesondere die bildenden Künste. Er besuchte viele Ausstellungen und schlich sich in so manch eine Kunstvorlesung der Universität. Eine formale künstlerische Ausbildung hat Luisma jedoch nie genossen, er ist ein klassischer Autodidakt. Dies ist einer der Gründe warum der kubanische Staat, der sich das Recht herausnimmt zu entscheiden wer Künstler ist oder was Kunst ist, ihn nie als Künstler anerkannt hat. 

Der andere Grund ist sein politischer Aktivismus. Bereits seine erste Ausstellung im Jahr 2011 war politisch. Holzfiguren, denen Beine oder Arme fehlten, symbolisierten die Verletzten der kubanischem Militärintervention in Angola, die tausende Opfer forderte. Internationale Bekanntheit erlangte er aber durch seine „Performances“, Kunstaktionen im öffentlichen Raum. Schon mit seiner ersten Performance im Jahr 2014 erregte er internationale Aufmerksamkeit. Er machte seiner us-amerikanischen Freundin in einem öffentlichen WLAN-Hotspot einen Heiratsantrag, indem er ihr unter der musikalischen Begleitung von 2 Mariachis einen Striptease darbot. Das Video von dieser Performance ging viral, und die internationale Presse wurde auf ihn Aufmerksam. 

Luis Manuel Otero Alcantara posiert aus Protest mit einem Schlaghammer vor einer Luxusboutique des neu eröffneten Hotels Kempinski Havanna

Während diese Performance noch recht unpolitisch war und auch keine Verhaftung nach sich zog änderte sich das mit der Zeit. Luisma begann mit seinen Performances auf Rassismus und soziale Ungleichheit in Kuba aufmerksam zu machen. Dinge, die es laut offizieller Lesart des sozialistischen Regimes auf Kuba eigentlich nicht mehr geben sollte.  Im Jahr 2017 wurde er dann für eine Performance zum ersten mal verhaftet. Das Regime eröffnete damals ein 5 Sterne Plus Luxushotel der Hotelkette Kempinski in der Altstadt von Havanna. Die Altstadt ist ein recht armes Viertel, mit maroder Bausubstanz und mangelnder Wasserversorgung. Oft stürzen Häuser ein und begraben die Bewohner unter den Trümmern, es gibt oft Wochenlang kein fließendes Wasser. In genau dieser ärmlichen Gegend wurde nun also von einem sozialistischen Staat ein 5 Sterne Plus Luxushotel mit mehreren Swimmingpools und Edelboutiquen eröffnet. Der Preis für eine Nacht in dem Hotel übersteigt den durchschnittlichen Jahreslohn eines Kubaners. 

Luisma veranstaltete gleich 3 Performances gegen diesen grotesken Affront. Da die Statue eines kubanischen Nationalhelden dem Hotel weichen musste, verkleidete er sich als diese Statue und stellte sich auf einen mitgebrachten Podest vor dem Eingang des Hotels. Binnen weniger Minuten wurde er von der Polizei in Gewahrsam genommen. Nach seiner Freilassung nahm er einen Schlaghammer und tat so als ob er aus Protest die Scheiben einer der Luxusboutiquen im Hotel zu zertrümmere. Der Hammer berührte die Scheibe zwar nie, dennoch wurde er auch für diese Performance abermals festgenommen. Als letztes veranstaltete er vor dem Hotel eine Tombola bei der die armen Bewohner der Altstadt eine Nacht in dem Luxushotel gewinnen konnten. Auch diese Aktion endete für ihn im Polizeigewahrsam. 

International steigerte sich jedoch seine Beliebtheit durch seine mutigen und kritischen Performances. Das Centre Georges Pompidou lud ihn im Jahr 2018 für eine Performance nach Paris ein. Die Performance „Das Testament des Fidel Castros“ war ein ziemlicher Erfolg. Für die Performance steckt ein als Fidel Castro verkleideter Luisma sein Testament in eine Havana Club Flasche und wirft sie als Flaschenpost ins Meer. Diese Flasche wird dann aus dem Meer gefischt und das selbstkritische Testament wird von ihm in Paris dem Publikum vorgelesen. Da in dem Testament auch von den Fehlern und den Verbrechen der kubanischen Revolution die Rede ist, war das Regime in Havanna natürlich alles andere als begeistert. 

Somit intensivierte es die Repressalien gegen den jungen Künstler, der im Gegenzug immer kritischer gegenüber den Machthabern wurde. Weil diese Mithilfe des Dekrets 349 die Kunstfreiheit in Kuba noch stärker als bisher einschränkten, gründete Luisma das Movimiento San Isidro, eine Bewegung regierungskritischer Aktivisten. Seine Performances haben immer 3 Dinge gemein. Sie sind immer politisch und enden immer im Polizeigewahrsam, obwohl sie immer friedlich sind. Die Themen sind dagegen vielfältig. Seien es die einstürzenden Häuser in der Altstadt oder die Homophobie des kubanischen Staatsfernsehens, das Küsse zwischen Männer gerne rausschneidet: Es sind die Ungerechtigkeiten der Diktatur, die ihn inspirieren und antreiben. 

Dabei wurde er sowohl im In und Ausland immer bekannter. Erstaunlicherweise sorgt dafür auch das Regime. Denn seit seinem Hungerstreik wegen der Inhaftierung von Denis Solis und der Protestaktion der Künstler am 27. November 2020 sieht er sich regelmäßig einer groß-angelegten Diffamierungskampagne der kubanischen Staatsmedien ausgesetzt. Ob Radio, Fernsehen oder Zeitung, sie alle werden nicht müde ihn als von den USA bezahlten Söldner darzustellen. Das hat den unbeabsichtigten Nebeneffekt, dass fast jeder Kubaner mittlerweile seinen Namen kennt. Im Ausland sorgt diese Hetzkampagne ebenfalls für mehr Aufmerksamkeit und außerdem für viel Solidarität. 

Autor: Fernando Rivas

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